Versand überhaupt zulässig?

DocMorris: BGH lässt Geschäftsmodell prüfen

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Berlin -

Die Schadenersatzklage gegen die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) könnte für DocMorris zum Bumerang werden. Denn auch wenn Verstöße gegen die Rx-Preisbindung wegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht zu beanstanden waren, sieht der Bundesgerichtshof (BGH) andere Angriffspunkte. Er will jetzt vom Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) prüfen lassen, ob der Versender nicht gegen Grundsätze des Versandhandels verstoßen hat. Im schlimmsten Fall könnte es nun für DocMorris teuer werden. Doch auch die AKNR ist noch nicht aus dem Schneider.

DocMorris hatte die AKNR auf Schadenersatz verklagt: Weil sie in fünf Fällen einstweilige Verfügungen erwirkt hatte, die nach dem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2016 zu Unrecht erlassen worden waren, sollte die Kammer dem Versender einen hohen Schadenersatz von rund 18,5 Millionen Euro zahlen. Das Landgericht Düsseldorf (LG) hatte die Klage 2019 abgewiesen, das OLG hatte dagegen 2022 zugunsten von DocMorris entschieden und der Forderung für alle fünf Fälle stattgegeben.

Der BGH hat auf Revision der Kammer das OLG-Urteil in der vergangenen Woche aufgehoben. Zwar habe das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Preisbindung nicht zu Lasten von DocMorris angewendet werden dürfe. Es habe auch kein Anlass bestanden, dies im Verfahren noch einmal beim EuGH klären zu lassen: Die Kammer habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ein weiteres Auskunftsersuchen erfolgversprechend wäre.

Gab es eine Präsenzapotheke?

Aber die Kammer wendet sich laut BGH mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, DocMorris habe nicht gegen das Verbringungsverbot nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Arzneimittelgesetz (AMG) verstoßen. Dort ist geregelt, dass der Versandhandel aus dem Ausland nur zulässig ist, wenn „die Apotheke nach ihrem nationalen Recht, soweit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht, oder nach dem deutschen Apothekengesetz für den Versandhandel befugt ist“.

Das OLG habe selbst festgehalten, dass laut Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vom 5. Juli 2011 die Vergleichbarkeit in den Niederlanden besteht, soweit Versandapotheken gleichzeitig eine Präsenzapotheke unterhalten. Allerdings habe das Gericht die Erfordernisse für den Betrieb einer Präsenzapotheke nach niederländischem Recht nur unzureichend ermittelt und damit sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt, so der BGH. Denn es habe sich bei der Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken dürfen, sondern hätte auch „die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen“ müssen. „Das Tatgericht ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Es muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen.“

Die AKNR hatte moniert, dass DocMorris keine Präsenzapotheke unterhalte, sondern lediglich einen kleinen Nebenraum, welcher für den normalen Publikumsverkehr faktisch nicht zugänglich sei und in dem so gut wie keine Medikamente erhältlich seien. Dieser Nebenraum erfülle aufgrund seiner spartanischen Ausstattung, des Fehlens eines ordnungsgemäßen Kassensystems und des eingeschränkten Produktangebots nicht die Anforderungen gemäß Länderliste.

Das OLG war dagegen dem Vortrag von DocMorris gefolgt, dass für den Betrieb einer Apotheke in den Niederlanden keine Betriebserlaubnis erforderlich sei, sondern lediglich eine Anzeigepflicht bestehe und dass lediglich ein Apotheker benannt werden müsse. „Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag mit der Begründung zugrunde gelegt, die Beklagte sei ihm nicht substantiiert entgegengetreten. Damit hat das Berufungsgericht in rechtsfehlerhafter Weise die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast bei der Ermittlung ausländischen Rechts angewendet, anstatt – wie nach § 293 ZPO grundsätzlich erforderlich – eigene Ermittlungen zur Verifizierung dieses Vortrags zu unternehmen.“

Aus einem vorgelegten Schreiben amtlicher Stellen lasse sich nicht erkennen, dass die Erfordernisse des niederländischen Rechts für den Betrieb einer Präsenzapotheke erläutert würden. Auch die von der AKNR aufgeworfene Frage, ob eine niederländische „Grensapotheke“ besonderen rechtlichen Erfordernissen unterliege, habe das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast für unerheblich gehalten.

Hier muss das OLG nun also noch einmal einsteigen. Kann die Kammer doch noch den Nachweis erbringen, dass am Standort in Heerlen keine echte Präsenzapotheke existiert hatte, könnte es für DocMorris heikel werden. Laut Dr. Bettina Mecking, Geschäftsführerin und Justiziarin der AKNR, könnten die Kassen fünf Jahre rückwirkend retaxieren, wenn Leistungen zu Unrecht abgerechnet wurden.

Rabatt ja, Gutschein nein

Was die Boni selbst angeht, waren diese in drei Fällen trotz Nichtanwendbarkeit der Preisbindung nicht rechtens, weil sie für den Kauf von OTC-Medikamenten eingelöst werden konnten. Dies hatte der EuGH im Vorlageverfahren als unzulässige Arzneimittelwerbung nach EU-Richtlinie qualifiziert. Damit fallen diese Sachzuwendungen laut BGH auch nicht unter den Ausnahmetatbestand nach § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Denn anders als bei einer zur unmittelbaren Preisermäßigung führenden Geldzuwendungen bestehe hier die abstrakte Gefahr der Irreführung über den Wert der Sachzuwendung: „Soweit durch einen solchen Rabattgutschein ein Anreiz für den Erwerb weiterer Heilmittel geschaffen wird, ist der weitere Schutzzweck des Heilmittelwerberechts berührt, einer unkritischen Selbstmedikation und einem womöglich gesundheitsgefährdenden Zuviel- und Fehlgebrauch von Heilmitteln entgegenzuwirken.“

Drei Fälle abgeräumt

Konkret ging es um fünf Fälle, in denen das Landgericht Köln die beantragten einstweiligen Verfügungen erlassen hatte. Drei Fälle räumte der BGH jetzt ab:

  • Am 8. Mai 2013 wurde DocMorris verboten, Kunden für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro je Rezept anzubieten.

Laut BGH war diese Aktion „angesichts des ihr innewohnenden Potentials zur Irreführung von Verbrauchern“ unzulässig.

  • Am 26. September 2013 erging eine einstweilige Verfügung im Zusammenhang mit einer Werbeaktion, die ein Anwerbesystem zum Inhalt hatte: Sandte ein Freund eines Kunden von DocMorris ein Rezept ein, erhielt dieser Kunde einen Gutschein im Wert von circa 150 Euro für einen Hotelaufenthalt oder ein Angebot für eine vergünstigte Mitgliedschaft im ADAC. Dieser Freund erhielt ebenfalls einen Gutschein für die Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten.
  • Am 4. November 2014 untersagte das Gericht eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden von DocMorris für die Einsendung eines Rezepts Gutscheine im Wert von 10 Euro für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten angeboten wurden.

Beide Aktionen waren laut BGH wegen der Möglichkeit der Einlösung für OTC-Käufe unzulässig: „Diese Werbung kann […] zu einer unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel führen, so dass ihr Verbot dem mit dieser Vorschrift verfolgten wesentlichen Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht.“

Zwei Fälle offen

In den beiden verbliebenen Fällen entschied der BGH zugunsten von DocMorris:

  • Am 5. November 2013 war Schluss mit einer Werbeaktion, in deren Rahmen bei der Einsendung eines Rezepts ein sofortiger Preisnachlass in Höhe von 10 Euro vorgesehen war.
  • Seit 29. September 2015 durfte DocMorris Kunden nicht mehr für die Einsendung eines Rezepts einen Preisnachlass in Höhe von 5 Euro in Aussicht stellen, die unmittelbar vom Rechnungsbetrag für die verschriebenen Arzneimittel abgezogen werden sollten

In beiden Fällen handelt es sich laut BGH um zulässige Geldrabatte, die unmittelbar den Rechnungsbetrag der Bestellung reduzieren. Sie verstoßen zwar gegen § 7 HWG, weil sie entgegen den Preisvorschriften gewährt wurden, die seinerzeit aufgrund des Arzneimittelgesetzes galten. Das OLG habe jedoch zu Recht angenommen, dass diese gegenüber DocMorris nicht angewendet werden durfte.

Wer muss am Ende bluten?

Nun muss das OLG entscheiden, wie mit diesen beiden Fällen umzugehen ist. Gab es keine Präsenzapotheke, ist nicht nur die verbliebene Schadenersatzforderung vom Tisch, DocMorris drohen dann selbst finanzielle Konsequenzen. Käme es tatsächlich zu Retaxationen, könnten schnell hohe dreistellige Millionenbeträge zusammenkommen.

Sieht das OLG dagegen die Anforderungen als erfüllt an und kann DocMorris für die beiden Fälle einen konkreten Schaden nachweisen – was im Prozess bislang nicht passiert ist –, könnte es für die AKNR teuer werden. Laut BGH ist trotz ihrer Eigenschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts ein Schadenersatz nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

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